Firmen müssen Geschäftsmodelle neu denken

IBM-Chefin Matina Koederitz spricht auf dem Wirtschaftsforum der Volks- und Raiffeisenbanken im Kreis Calw

Schwarzwälder Bote, 22.11.2017

Der Blick in die Zukunft – beim diesjährigen Wirtschaftsforum der Volks- und Raiffeisenbanken im Kreis Calw in Wart war er der rote Faden, der nicht nur den Gastvortrag von Martina Koederitz, IBM-Chefin in Deutschland, bestimmte.

Altensteig-Wart/Kreis Calw. Auch Jörg Stahl, Vorstandssprecher der Volksbank Herrenberg-Nagold-Rottenburg, wagte in seiner Begrüßung der knapp 500 Zuhörer im Congress Centrum Wart – stellvertretend für alle vier im Kreis Calw ansässigen Genossenschaftsbanken – einen Ausblick zumindest bis ins Jahr 2019. Dann nämlich, so Stahl, werde es endlich eine Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) geben – da seien sich alle Analysten einig. Indiz dafür sei die aktuell geplante Halbierung der Anleihekäufe durch die EZB zum Jahreswechsel auf dann "nur noch" 30 Milliarden Euro monatlich, die derzeit für die Null- und Negativzins-Phase am Kapitalmarkt verantwortlich sei.

Den zeitlichen Rahmen, den dann anschließend IBM-Managerin Martina Koederitz in ihrem Referat für ihre Prognosen und Vorhersagen unter der Überschrift "Society 5.0 – warum Industrie 4.0 nur der Anfang sein kann" heranzog, war allerdings noch einmal deutlich weiter gespannt. Sie sprach von Entscheidungen, die jetzt in Deutschland für die nächsten Generationen getroffen werden müssten. Und wusste die Teilnehmer des Wirtschaftsforums aus Unternehmen, Verwaltung, Politik und Institutionen an mehr als einer Stelle sichtlich zu irritieren und auch zu verunsichern.

Umsatz wird auf zwei Billionen explodieren

Koederitz Kernthese: Nach der omnipräsenten Vernetzung der Arbeits- und Produktionswelt ("Industrie 4.0"), die längst im Vollzug sei, stünde jetzt die "Vernetzung von Allem und Jeden zu Jederzeit an jedem Ort auf der Welt" an – die ebenfalls längst begonnen habe. "Viele reden morgens schon heute zuerst mit ihrem Smartphone, bevor sie den Partner begrüßen." Die vernetzte Gesellschaft eben, die alle Lebensbereiche der Menschen umfasse – "Society 5.0".

Wobei Koederitz, die ihre Karriere bei "Big Blue" (Synonym für IBM) unter anderem als Leiterin der IBM-Vertriebsorganisation für den genossenschaftlichen Finanzverbund startete, vor allem den sogenannten "kognitiven Technologien" eine Schlüsselfunktion einräumte – selbstlernenden (IT-)Systemen, die Entscheidungen von Menschen in allen Lebenslagen als Assistenz sicherer machen sollen. Indem sie vorliegende Erfahrungen in Form von "Big Data" für Entscheidungsprozesse verfügbar machten, die der Mensch allein nicht mehr beherrschen würde.

Koederitz Beispiel: Die Medizin, die heute alle 73 Tage ihren weltweit verfügbaren Wissensstand verdoppele. "Welchem Arzt wollen Sie da noch glauben, dass er sich wirklich ’up to date’ hält!?" Erst intelligente, smarte Assistenz-Systeme auf Basis der neuen kognitiven Technologien (andere Bezeichnung: "künstliche Intelligenz") könnten diese Masse an ständig neuem Wissen wirklich operativ im Alltag nutzbar machen. Und das eben in wirklich allen Bereichen des Alltags.

Die Dimension dieser Entwicklung – und damit der Blick in die Zukunft: Aktuell, so Koederitz, umfasse der Markt für kognitive Technologien weltweit rund acht Milliarden Dollar. Bis zum Jahr 2020 solle sich laut aktueller Studien das Marktvolumen auf 40 Milliarden Dollar verfünffachen – "was nicht stimmen wird", da diese Art Zahlen "wie immer" von der Realität noch deutlich überholt werden würden. Bis spätestens 2025 werde der Umsatz mit diesen Technologien gar auf "zwei Billionen Dollar explodieren". Koederitz Hinweis oder auch Warnung an ihre Nordschwarzwälder Zuhörerschaft: "Es geht nicht mehr darum, ob sie Entwicklungen einsetzen werden", sondern darum, wie man mit seinen eigenen Geschäftsmodellen ein Teil davon werden könne.

Datenschatz für kleine Unternehmen heben

Koederitz Empfehlung: "80 Prozent dieser Daten" – die diese Entwicklung treiben werden – "gehören Unternehmen – also Ihnen." Es gelte auch für das kleinste Unternehmen, diesen Datenschatz zu heben. "Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts." Allerdings: "Sie nutzen diese Daten bisher gar nicht", mahnte die IBM-Chefin ihre Zuhörer. "Das wissen wir, weil Ihre Daten auf unseren Datenträgern liegen." Die Schlüsselfrage sei also: Wie bekommt man diese Daten über Kunden, Einkaufsverhalten, Preisentwicklungen "operativ", um daraus Mehrwerte fürs eigene Geschäft zu generieren?

Wobei es Voba-Sprecher Jörg Stahl in der Fragerunde übernahm, Koederitz zu bitten, ihre Thesen und Forderungen auf den in der hiesigen Region so wichtigen Mittelstand herunterzubrechen: "Wie machen wir den fit?". Ihr Tipp: "Binden Sie Ihre Kunden ein, lernen Sie von ihnen." Die Unternehmen müssten weg von einer rein produktgetriebenen Entwicklung des eigenen Geschäftsmodells – hin zu einem kundengetriebenen Neudenken ihrer Firmenidentität. Und dabei sollte man auch vor unbequemen Entscheidungen niemals zurückschrecken.

Koederitz Beispiel: ihr Arbeitgeber. "Als IBM sich entschied, das PC-Geschäft aufzugeben und zu verkaufen, um sich auf Software und Services zu konzentrieren, haben damals alle verwundert auf diese Entscheidung reagiert." Heute zeige sich, dass mit PCs kein Geld mehr zu verdienen sei und der Markt dafür gegenüber den "Smart Devices" wie Tablet oder Smartphone ständig schrumpfe. "Ich bin seit 30 Jahren bei IBM", so Koederitz abschließend. "Und in dieser Zeit habe ich mehrfach einen kompletten, notwendigen Wandel des Geschäftsmodells erlebt."